Ein Jahr nach dem Erdbeben in Nepal

Ich bin zurück in Nepal um gemeinsam mit dem Team unser soziales Projekt Shakti Milan Nepal (www.shakti-milan.com) weiter zu entwickeln, dass wir zur Unterstützung benachteiligter Frauen gegründet haben. Der Flieger landet fast genau ein Jahr nach dem großen Erdbeben am 25. April 2015 in Kathmandu. Damals, während des Bebens, war ich auch in Nepal. Habe die Katastrophe gemeinsam mit den Nepalesen erlebt und durchlitten und bin dann noch geblieben um vor Ort zu helfen, mit Spenden aus dem Deutschen Freundes- und Bekanntenkreis. Bedrückt, traurig und zutiefst verunsichert habe ich vor knapp einem Jahr das Land verlassen. Jetzt bin ich freudig erregt als wir uns nach der Ankunft am Flughafen durch den dichten Straßenverkehr der Großstadt kämpfen.

Was hat sich verändert seitdem? Welche Spuren hat die Naturkatastrophe hinterlassen, die ca. 9.000 Todesopfer gefordert hat?

Wir gehen auf Entdeckungsreise. Auf dem Weg zum Augentempel Boudha, einem der Wahrzeichen der Stadt, fahren wir an riesigen Zeltstädten des chinesischen Roten Kreuz vorbei. Auch ein Jahr nach dem Beben leben viele Menschen auf der Straße ohne ein festes Dach über dem Kopf. Die Regierung ist schwach und trotz enormer Spendengelder, die ins Land geflossen sind, ist unglaublich wenig passiert. Es werden Schäden offiziell begutachtet und dann wird der Zustand des Gebäudes auf einem Stück Papier eingetragen und auf die Außenwand geklebt. Wann Geld zur Renovierung oder Wiederaufbau ausgezahlt wird, bleibt weiterhin unklar.

Die Bevölkerung ist auf sich allein gestellt, die vorhandenen Gelder werden zweckentfremdet für politische Machtspiele, wie uns unsere Freunde in Kathmandu berichten. Das macht wütend!

Als wir den Augentempel erreichen sind wir erschüttert. Das Wahrzeichen, die Spitze der Stupa mit dem Buddhistischen Symbol der Augen existiert nicht mehr. Die Stupa ist komplett eingerüstet und wird gerade wieder aufgebaut. An Anziehungskraft hat dieser Ort aber nichts eingebüßt. In Scharen pilgern die Buddhisten, vor allem Tibeter, um das Heiligtum und sprechen dabei ihre Gebete.

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Der Wiederaufbau ist das bestimmende Thema in Kathmandu. Überall wird gebaut, geräumt, gewerkelt. Und das mit Werkzeugen und Methoden aus dem Mittelalter. Es ist unglaublich, mit welchen einfachen Mitteln die Menschen hier ihre Häuser und Straßen bauen. Im ganzen Kathmandu-Tal werden Lehmziegel gebrannt, teilweise auf selbstgezimmerten Öfen. Vor unserem Haus beobachten wir einen Straßenbau Trupp. Da wird erst ein riesiger Haufen Holz angeschleppt, große Löcher gegraben und darin ein Feuer entzündet und anschließend mit Erde abgedeckt und Teerfässer eingelassen. Durch das Feuer wird der Teer erwärmt, der dann ständig umgegossen und von den Arbeitern auf die Straße gepinselt wird. Morgens um 4:50 Uhr fangen sie an und arbeiten den ganzen Tag in glühender Hitze bis nach 24 Uhr.

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Aber auch einige UNESCO Denkmäler in Bhaktapur sind schwer beschädigt und nach einem Jahr viele immer noch einsturzgefährdet. Als wir die alte Newar-Stadt besuchen, können wir sehen, wie detailgetreu wieder aufgebaut wird, aber auch wie langsam. Arbeiter sehen wir nur an einem kleinen Tempel.

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Aber nicht nur Arbeitstechnik und Werkzeug sind eine Herausforderung in Nepal. Auch die Baustoffe sind schlecht. Zement und Beton zum Hausbau wird aus Indien oder China importiert und hat oft das Haltbarkeitsdatum schon überschritten, wenn er in Nepal ankommt, nach einer unsachgemäßen Lagerung und der üblichen Korruption auf dem Bau, wundert man sich eigentlich eher, dass noch so viele Häuser das Erdbeben relativ unbeschadet überstanden haben. Auch das Haus indem wir wohnen hat einen breiten Riss in der Außenmauer. Uns wird aber versichert, dass alles ausreichend stabil ist.

Auf unserem Trip nach Nagarkot, einem beliebten Wochenendausflugsziel für Nepalesen und Touristen, mussten wir feststellen, dass viele Hotels auf dem Bergrücken zerstört sind. Gestaunt haben wir nicht schlecht, als wir gemerkt haben, dass das 5 Stöckige Hotel, in dem wir vor dem Beben einmal übernachtet hatten, komplett verschwunden war. Nicht nur beschädigt, nein, komplett weg. Der Manager des Hotels „End of the Universe“ erklärte uns die Umstände. Vor dem Wiederaufbau steht die Entsorgung der Trümmer. Sein eigenes Haupthaus war nicht eingestürzt aber in gefährliche Schieflage geraten. So musste er erst einmal Leute finden, die das Haus abtragen, um dann mit dem Neubau zu beginnen. Er hat sich klar für einen nachhaltigen Wiederaufbau entschieden. Wie viele andere Nepalesen auch. Sie planen jetzt niedriggeschossig, verarbeiten viel Stahl und experimentieren mit anderen erdbebensicheren Konstruktionen. Das ist schlau, denn nach Expertenschätzungen stehen weitere massive Beben bevor.

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Der ganze Wiederaufbau scheint gerade vor ein paar Wochen erst richtig begonnen zu haben. Monatelang war die Grenze zu Indien blockiert und damit sind keinerlei Waren ins Land gekommen. Kein Gas, kein Benzin und auch keine Baumaterialien. Seit kurzem ist die Blockade nun beendet und so langsam normalisiert sich die Versorgungslage wieder. Viel Zeit für all die Bauprojekte bleibt nicht mehr. In einem Monat beginnt die Regenzeit. Was bis dahin nicht fertiggestellt ist, läuft Gefahr durch die Regenfluten und die häufigen Erdrutsche wieder zerstört zu werden. Über der Stadt liegt eine unglaubliche Smog-Wolke. Schlechte Luft und getrübte Sicht sind normal für diese Jahreszeit, aber durch die Baumaßnahmen überall im Land ist es in diesem Jahr besonders schlimm.

Nach den ersten Soforthilfemaßnahmen direkt nach dem Beben und neben gezielter Einzelfallhilfe haben wir die mit unserer Aktion „We are Nepal“ (www.we-are-nepal.org) gesammelten Spendengelder vor Allem für die Trauma-Bewältigung von Kindern verwendet. Bei unserem Besuch jetzt wollen wir natürlich auch vor Ort sehen, wie sich dieses Hilfs-Projekt, das wir gemeinsam mit unserer Partnerorganisation ACCESS durchführen, entwickelt hat. Im Laufe der letzten Monate wurde hierfür ein Team zusammengestellt und ausgebildet und ein Workshop zur Identifizierung von traumatisierten Kindern entwickelt, der regelmäßig an Schulen in den besonders stark vom Beben betroffenen ländlichen Regionen durchgeführt wird. Die Kinder, die hierbei als auffällig und verstört erkannt werden, erhalten weitergehende individuelle Behandlungen. Eines dieser Kinder ist gerade mit seiner Mutter zur Nachuntersuchung in Kathmandu und wir können uns selbst ein Bild machen wie sorgfältig und nachhaltig dieses Projekt aufgesetzt wurde und betreut wird. Und auch bei einem Besuch im Übergangsheim für Kinderarbeiter, das ebenfalls von ACCESS geführt wird, erleben wir, wie sehr das Erdbeben die Kinder in ihren Grundfesten erschüttert hat und immer noch Thema ist.

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Neben unserem Einsatz für Shakti Milan Nepal, mit dem wir Frauen einen Weg in die Unabhängigkeit ermöglichen, werden wir ACCESS und die Trauma-Bewältigung bei Kindern auf jeden Fall weiterhin unterstützen. Nepal: wir kommen wieder!

12890926_1076758969081369_6380421478059575237_o.jpgApril 2016

Kerstin & Oliver Prothmann

 

 

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