Freitag, 1. April: Ankunft in Kathmandu und Überraschung bei Shakti Milan: Kein Aprilscherz
Wir haben die Taschen dann doch wieder voll bekommen. Mit über 70 KG Gepäck sind Oliver und ich (Kerstin) gut und sicher in Kathmandu gelandet. Schon im Landeanflug konnten wir sehen, dass jetzt Trockenzeit ist. Die oft so grünen Reisfelder sind größtenteils unbepflanzt und es herrscht Wasserknappheit, insbesondere im Kathmandu-Tal.
Gokul und Krishna holen uns vom Flughafen ab. Wir bekommen zur Begrüssung jeder den obligatorischen orangenen Blumenkranz umgehängt, den sie auf der Fahrt zum Flughafen am Tempel gekauft haben. Die Freude des Wiedersehens ist schon am Flughafen groß. Dann aber schnell alle Taschen in ein Mini-Taxi reinstopfen und ab nach Hause. Klein Shakti, die neugeborene Tochter von Gokul und Prakriti, ist aufgewacht und erwartet uns. Oliver und ich passen gerade noch ins Taxi, Gokul und Krishna fahren auf dem Scooter zurück. „Du kennst ja den Weg, musst den Taxifahrer anleiten…“ ruft mir Krishna noch beim Abfahren zu, lacht und verschwindet mit dem Scooter um die Ecke.
In den Strassen von Kathmandu wuselt es wie immer. Ich versuche zu erkennen, ob man die Auswirkungen der monatelangen Versorgungs-Blockade direkt erkennen kann. Ist weniger Smog da, weil nicht so viele Fahrzeuge unterwegs waren? Nein, eigentlich nicht. Über der Stadt hängt eine Dunstglocke vom Feinsten und die Berge kann man nicht mal erahnen. An jeder Ecke wird gebaut, erkennen wir vom Taxi aus. Nachdem endlich wieder Waren ins Land kommen, können die Aufbauarbeiten nach den großen Erdbeben im vergangenen Jahr endlich weiter geführt werden. Auch in Kathmandu leben immer noch sehr viele Menschen in Zelten.
Angekommen zu Hause bei Gokul und Prakriti werden wir von allen begrüsst und bekommen unser Willkommens-Tika (ein roter Farbpunkt auf der Stirn, ungünstig, wenn man Pony trägt… hatte ich irgendwie verdrängt). Das Shakti-Baby ist ein echter Wonneproppen. Erst 3 Monate alt und schon an die 7 KG schwer. Und soooo suess!! Deswegen wird sie auch ununterbrochen von einem Familienmitglied durch die Gegend getragen. Alle wollen sie mal auf den Arm nehmen und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich auch an die Reihe komme. Immerhin schreit sie nicht mehr bei weißen Menschen, seit eine Voluntärin im Hause ist und Little Shakti sich an ein weißes Gesicht gewöhnt hat.
Wir sind eigentlich ziemlich fertig von der Reise und wären gerne nach dem Milchtee zur Begrüssung noch für ein paar Stündchen ins Bett gegangen. Aber die Ladies von Shakti Milan warten auf uns und so geht es gleich weiter mit dem Scooter in unsere kleine Taschenmanufaktur.
Was uns dort erwartet ist echt der Hammer und auch kein Aprilscherz. Alle Damen anwesend. Natürlich werden wir wieder mit orangen Blumenkränzen empfangen. Wir kommen in einen neuen Nähraum, der jetzt ein größerer ist mit hellem Tageslicht und frisch gestrichenen Wänden. Alles super ordentlich und professionell. „Wow, wann seid ihr umgezogen? Habt ihr gar nicht erzählt“, sage ich. Ein Mega-breites Grinsen auf Gokuls und Prakritis Gesicht. „Ja, wir brauchten mehr Platz, aber komm weiter….“ Und dann werden wir in einen weiteren Raum geführt. Unser erster Show-Room. Der Knaller!
Abends erfahre ich von Marlene, der Voluntärin bei uns im Haus, dass sie seit Tagen damit beschäftigt waren diese beiden Räume herzurichten und alle Voluntäre, die das Projekt besuchen wollten auf später vertröstet wurden, da alle vollauf mit den Vorbereitungen für unseren Besuch ausgelastet waren. Ich bekomme Gänsehaut als ich die ganzen neuen Prototypen sehe. So schön dekoriert. So toll verarbeitete Taschen. Alles so liebevoll in Szene gesetzt. Stumm umarme ich Prakriti. Danke sagt man in dieser Kultur nicht. Man denkt es vom Herzen und das Gegenüber spürt es dann. Ich bin unendlich stolz auf dieses Team und was sie in nur ein paar Monaten alles auf die Beine gestellt haben.
Dass es nicht einfach war, das ist uns klar. Welche Hürden sie genommen haben, erfahren wir in Ansätzen beim Milchtee bei Praktitis Eltern und auf dem Weg zurück nach Hause. Wir reden alle wie die Wasserfälle. Dass wir noch längst nicht alles wissen, ist auch klar. Dies ist eine Kultur, in der Zeit unbegrenzt vorhanden ist und nicht linear gemessen wird. Für alles ist der passende Moment und für viele Neuigkeiten muss der passende Moment noch kommen. Für heute haben wir schon sehr sehr viel gesehen und erfahren.
Bei der obligatorischen Baby-Massage am Abend haben Prakriti und ich noch ein bisschen Gelegenheit zum sprechen. Sie berichtet über die schwierige Geburt der kleinen Shakti und die ersten Wochen mit ihr. Kein Wunder, dass sich ab jetzt alles um dieses winzige Geschöpf dreht, nach alldem, was hinter der kleinen Familie liegt.
Samstag: 2. April: Schlafmangel und Besuch
Gestern haben wir trotz Schlafmangel und Jetlag gut durchgehalten. Aber heute hängen wir in den Seilen. Ein spätes Frühstück und danach direkt ein Mittagsschläfchen. Es ist Samstag, der einzige freie Tag in der Woche und wir lassen es langsam angehen.
Am Nachmittag kommt Krishna mit Gisela, einer Urlauberin aus Neuss, vorbei. Wir trinken unseren Milchtee auf der Terrasse, essen ein vorzügliches Dal Baht mit Gemüse-Curry und philosophieren über das Yoga-Center, was Krishna gerade aufbaut und wie wir ihn dabei unterstützen können. Wir bewundern natürlich auch alle neuen Taschen-Typen, die wir gestern aus der Manufaktur mitgenommen haben und beratschlagen, was wohl davon gut ankommt und wo wir noch mal etwas anpassen würden.
Kaum dass sich Krishna und Gisela wieder auf den Rückweg nach Pharping ins Dorf gemacht haben, kommt Kathrin zu Besuch. Was für eine tolle Überraschung! Kathrin habe ich vor genau einem Jahr hier kennen gelernt und seit dem ist sie in Nepal. In der Zwischenzeit hat sie viel erlebt und Unglaubliches auf die Beine gestellt, über das man ganze Bücher schreiben könnte. Wir verbringen einen super netten Abend, essen Reis mit Pommes, bewundern klein Shakti, die glitschig wie ein Fisch ihre Baby-Massage vor dem Heizstrahler geniesst und diskutieren über Märkte, Preise, Labels, Plattformen, Social Media, Reisverschlussköpfe, und vieles mehr.
Internet und Strom gibt es in den nächsten Tagen eher wenig, meistens nur Nachts. D.h. wir müssen wieder anfangen alle unsere Geräte strategisch aufzuladen, damit sie bis zum nächsten Strom-Schub durchhalten. Wasser ist im Moment auch Mangelware und Gas und Benzin nach wie vor nur auf dem Schwarzmarkt zu haben. Gut, dass wir die Schlafsäcke dabei haben, denn es ist doch noch relativ kalt hier in Kathmandu.