Neue Hoffnung

Wir warten auf den Designer-Bruder, der an diesem Morgen aus dem Dorf anreisen soll. Mit ihm wollen wir sofort zu Shakti-Milan fahren, um mit ihm an der Nähmaschine einen neuen Anlauf für die Taschenkollektion zu nehmen. Gestern in der Altstadt hatte ich noch neue Baumwollstoffe für das Innenfutter gekauft und am frühen Morgen schon mal Schnittmuster auf Papier übertragen damit es sofort losgehen kann. Auch habe ich mir noch mal die Youtube Videos mit viel Geduld angeschaut. Ich bin bestens vorbereitet und weiß was ich will.

Der Bruder kommt erst um 12 Uhr in Kathmandu an. Ich sitze auf heissen Kohlen, denn für 16 Uhr bin ich zu einem Konzert in Sandras Restaurant verabredet. Da bleibt nicht mehr viel Zeit zum Nähen und ich korrigiere meine Erwartungshaltung insgeheim. Wir werden keine „Kollektion“ produzieren, sondern höchstens eine Tasche. Nach dem gemeinsamen Mittagessen geht es dann endlich los zu Shakti-Milan. Der Bruder ist super nett, sehr schweigsam und ich glaube schon, dass er versteht, was ich meine.

Bei Shakti-Milan sind alle Damen anwesend. Die Plastiktüten-Häklerin macht mir die Tür auf und kann ihre Freude über meinen Besuch nicht verbergen. Sie drückt mich ganz fest und das rührt mich sehr, denn sie ist eine der ganz verschlossenen. Sie lebt schon seit über einem Jahr in dem Krisenzentrum und hat ihre Geschichte, wie es zur HIV Infizierung kam, noch mit keinem geteilt. Sie spricht kein Englisch, aber irgendwie haben wir einen Draht zueinander gefunden und ich merke, dass das Taschenprojekt genau ihr Ding ist. Ich bekomme eine Gänsehaut und denke mir, auch wenn ich vielleicht generell hier nicht viel bewegen kann, für diese eine Frau macht es einen Unterschied ob ich mich engagiere oder nicht. Für diese Frau bietet das Taschenprojekt eine Chance für einen Neuanfang und wahrscheinlich für einige andere auch.

Wir legen los und beginnen mit unserer Tasche Nr. 2. Der Designer-Bruder erträgt es, dass ich ihm ständig reinquatsche. Er hat ein gutes Auge, erkennt die beschädigten Stellen im Reissack und überlegt sich, wie er zuschneiden muss, damit die beschädigten Stellen dabei rausfallen. Ich möchte, dass er den anderen erklärt, was er tut und welche Überlegungen er anstellt.

Ich stelle mit Verwunderung fest, dass sie sich nicht mit meinem Papier Schnittmuster anfreunden können. Wir müssen 4x das gleiche Teil zuschneiden, mit exakt den gleichen Maßen. Für jedes Teil wird neu mit dem Massband abgemessen, gerechnet und versucht mit Kreide auf dem Plastik des Reissacks Markierungen vorzunehmen (was natürlich nicht haftet). Gleich rattern bei mir wieder die Gedanken zur Prozessoptimierung. Ich kanns nicht abstellen, obwohl ich mir ständig sage, dass es viele Wege zum Ziel gibt.IMG_3928

Es dauert eine Weile, aber die Stimmung ist gut und alle sind eifrig bei der Sache. Gokul taucht auf, es gibt Tee und Spässchen. Wir finden die beiden Tragegriffe aus dem Missglücken Versuch von letzter Woche und bauen sie noch in unsere Tasche ein. Das Motto ist ja schliesslich „Recycling“. Dann erweitern wir das Design auch noch um ein schickes Innentäschchen. Es ist bereits 16 Uhr und ich hoffe, dass das Konzert auch erst nach Nepali-Uhrzeit anfängt, also gut 1h später als angekündigt, denn ich kann so kurz vor Fertigstellung der Tasche hier jetzt nicht verschwinden.

Ganz entzückt stelle ich fest, dass 2 Damen aus der Küche einen weiteren Reissack geholt haben und nun selber versuchen die Tasche nachzumachen. Seit Tagen versuche ich zu erklären, dass sie alles Material das ich angeschleppt habe verwenden können. Sie sollen üben, ausprobieren, rumschnippeln… ohne Hemmungen. Aber heute ist das erste Mal, dass ich wirklich Initiative sehe. Ich freue mich und bin bester Laune, als ich endlich mit unserer gelungenen Tasche Nr. 2 ins Taxi steige um sie direkt auf dem Konzert vorzuführen. Auch die Damen sind bester Stimmung. Können sie sich nun endlich vorstellen, dass man aus Reissäcken schöne Dinge herstellen kann.IMG_3929

IMG_3926 IMG_3925Nachdem der Taxifahrer mich auf halber Strecke im Taxi hat warten lassen, da er mal in die Büsche musste, komme ich endlich in Sandras Restaurant an. Ich habe auch noch ausreichend Zeit um zur Feier des Tages ein Glas Wein zu bestellen und etwas zu Essen, bevor das Konzert anfängt (Nepali-Zeit eben). Stolz präsentiere ich unsere Tasche Nr. 2 und bekomme von allen Seiten positives Feedback. Wenn wir hier und da noch etwas feintunen, dann lässt sich Tasche Nr. 3 vielleicht schon verkaufen.

Der Abend wird richtig nett. Ich habe meine gelbe Clowns-Kurta an und tanze mit den anderen Gästen zur Musik einer Nepalesischen Schulband. Zum Glück habe ich vorher Alkohol bekommen. In der Pause versuche ich weitere Gäste von unserer Social Experience Tour zu überzeugen. Das Programm kommt wirklich bei allen gut an. Aber leider finde ich auch an diesem Abend keinen, der am nächsten Samstag noch in Kathmandu ist und Zeit für die Tour hat. Dafür lerne ich wieder neue Leute kennen, die ein Guesthouse in den Hügeln betreiben und die mir versprechen den Flyer mitzunehmen und bei sich auszuhängen. Im Austausch nehme ich ihren Flyer entgegen und verspreche auch mal im Shivapuri Cottage vorbei zu schauen.

IMG_3927Nach dem Konzert, bei dem auch Mirjam, Franzi und Maria waren, holen wir unsere frischgewaschene Wäsche ab (riecht gut und sieht aus, als wenn alle Unterhosen und Socken noch da wären) und gehen in die Touri-Bar schlechthin. Das israelische Or2K. Hier gönnen wir uns noch einen Absacker und die grosse Or2K Falaffel-Platte. Ist auch mal schön so ein normales Touri-Programm zu machen und einen Abend ohne Reis und Dal Bhat auszukommen.

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